Was ist dran am Pferdeflüstern?

erschienen am 28.09.2001

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Was ist dran am Pferdeflüstern? Die deutsche Pferdeszene teilt sich in zwei Lager: Die einen schwören auf den Mann, der mit seiner sanften Ausbildungsweise selbst die wildesten Rösser zu zähmen scheint, die anderen schauen spöttisch zu, wenn seine Anhänger im Round Pen oder -, was in unseren Gefilden häufiger der Fall ist - im Longierzirkel seine Trainingsmethoden nachempfinden. Der Kalifornier Monty Roberts verkörpert perfekt das Bild des wettergegerbten Westmannes, wenn er, die Zügel lässig in einer Hand, das Lasso am Knauf seines Sattels, über die Weite der Prärie in den Sonnenuntergang hineingaloppiert. Und trifft mit diesem Bild, ebenso wie mit seinen Lehren, wohl die tiefsitzende Sehnsucht der Zivilisationsmenschen nach Natur. So machte seine in 13 Sprachen übersetzte und über zweimillionenmal verkaufte Biografie den 63jährigen denn auch zum berühmtesten Cowboy der Welt. Unterstützt wird diese Popularität durch den jüngst in den Kinos angelaufenen Film "Der Pferdeflüsterer" - von dem er sich allerdings distanziert. Denn als dort der Cowboy Tom Booker (Robert Redford) das Vertrauen eines wildgewordenen Tieres durch sanfte Art nicht wiedergewinnen kann, fesselt und unterwirft er es. Dies aber ist genau die Brachial-Methode, der Roberts den Kampf angesagt hat. "Gewalt ist niemals die richtige Antwort", so die Lehre des Mannes, der mit den Pferden spricht. Stattdessen versucht er eine Atmosphäre zu schaffen, "in der die Pferde für mich arbeiten wollen". Der Grundgedanke seiner Arbeit basiert dabei auf Beobachtungen von Pferden in der freien Wildbahn: Benimmt sich ein Youngster in der Herde zu rüpelhaft, vertreibt das Leittier ihn, Annäherungsversuche werden über Stunden hinweg vereitelt. Diese Verbannung, wäre sie denn von Dauer, hätte schwere Folgen für den Rabauken. O-Ton Roberts: "Wer von der Herde getrennt wird, fällt den Raubtieren zum Opfer". Hat das Leittier schließlich ein Einsehen und der Unruhestifeter wird, vielleicht sogar noch mit angenehmem Mähnekraulen, wieder in die Herde aufgenommen, ist er fortan diszipliniert. Daraus folgt: Auch mensch muß sich den nötigen Respekt verschaffen - allerdings nicht durch Grobheit, die das für eine Zusammenarbeit so nötige Vertrauen zerstören würde. So holt sich Roberts seine Remonten in das Round Pen, streichelt sie kurz und spielt dann ein Mittelding zwischen Raubtier und Leithengst. Dazu hebt er die Arme, spreizt die Finger und geht gar noch einen Schritt auf sie zu. Erschrocken galoppieren die Pferde davon, Runde um Runde. Mit einem Seil scheucht er sie weiter bis sie anfangen, "nachzudenken". Zunächst einmal richten sie ein Ohr auf den Mann, der sich da so ganz anders als üblich verhält, dann fangen sie an zu kauen und den Kopf zu senken. Mag dies nun ein Zeichen der Entspannung oder eine Geste der Unterwerfung sein: die Technik funktioniert. Denn kurz darauf ändert Roberts seine Körperhaltung, senkt die Arme, wendet sich ab und bleibt regungslos, aber gelassen stehen. Das Jungtier zögert, hört auf zu laufen, geht schließlich auf ihn zu. Nachdem er sich langsam umgedreht und es gekrault hat, folgt ihm das Pferd wie ein Hund seinem Herrn. "Es hat mich jetzt als Leitier anerkannt", so Monty Roberts, und tatsächlich sind Satteln und das erste Aufsitzen fast nur noch eine Formsache. Aber - ist dies nun tatsächlich der ganz große Durchbruch? Oder ist nicht vielmehr (zumindest in den zentraleuropäischen Reitlehren) längst bekannt, daß man Pferden ohne Gewalt und Unterwerfung wesentlich schneller etwas beibringen kann? Schon Xenophon, Schüler von Sokrates, der um 430-324 v. Chr. lebte, und als "Urvater" aller Reitlehrer gilt, sagte: "Was das Pferd gezwungen tut, das versteht es nicht". Blickt man, landauf, landab, in traditionelle Ausbildungsbetriebe, wird man, ganz anders als in Amerika, weder an den Hufen gefesselte noch zum Paket geschnürte Pferde finden. Die Grundausbildung geht hier einen anderen Weg. Das hat auch etwas mit der Pferdehaltung zu tun: Große Wildpferdeherden gibt es in Deutschland schließlich schon lange nicht mehr. Stattdessen wachsen die meist (genau geplanten) Pferde bei Züchtern oder Aufzüchtern auf, werden schon als Fohlen an das Halfter gewöhnt und lernen am Strick zu gehen oder die Hufe zu geben. Die meisten Ausbilder geben sich damit zufrieden, schließlich ist die dann folgende Schulung zum Reitpferd langwierig und schwierig genug. Die traditionelle Ausbildung Dreijährig beginnt für die Remonten der Ernst des Lebens. Im guten Ausbildungsstall werden sie zunächst in Ruhe an die neue Umgebung in einer ständig sauber eingestreuten Box gewöhnt - denn der erste Eindruck prägt das Verhalten des Pferdes. In der Anfangswoche hält sich der Ausbilder zurück, sorgt lediglich für einen angenehmen Aufenthalt und den nötigen Freilauf. Der allerdings beschränkt sich nicht nur auf das Paddock oder die Weide, sondern findet vor allem in der Halle statt - mit dem Ausbilder in der Mitte. Vergleiche mit Monty Robert's Trainingsmethoden erscheinen nicht nur zwangsläufig, sondern sind erwünscht. Nach dieser Gewöhnungsphase lernt das Pferd die zum Reiten notwendigen Ausrüstungsgegenstände kennen. Auch hier bedienen sich Fachleute eines Tricks: Während des Fütterns oder nach dem Putzen, wenn das Tier sich grundsätzlich schon wohl fühlt, wird dem Pferd der Longiergurt oder Sattel lose aufgelegt. Im Verlauf einiger Tage kann der Gurt allmählich angezogen, Sattelzwang so vermieden werden. Und dies, ganz im Sinne Monty Roberts, in Ruhe und Gelassenheit, aber immer mit dem nötigen Durchsetzungsvermögen. Erst danach erfolgt das Anlongieren. Die meisten Reitlehren empfehlen dazu den Longierzirkel (Round Pen), zumindest aber einen Platz, der wenigstens an drei Seiten begrenzt ist. Die durch das Freilaufen schon an den Ausbilder gewöhnte Remonte akzeptiert die Kommandos seines "Leittieres" . Dennoch wird dieser sich einen Helfer nehmen, der das Pferd, an der Außenseite gehend, auf die Kommandos des Longenführers anführt. Hat es einmal verstanden, bei anstehender Longe auf der Kreislinie zu gehen, läßt der Helfer los, die Remonte geht alleine weiter. Nach lobendem Klopfen oder Kraulen ist diese Ausbildungsstunde auch schon beendet. Denn, so der renommierte Dressurreiter Reiner Klimke: "Wer sich am Anfang Zeit läßt, kommt schneller voran". Erst danach - und bei Bedarf immer wieder mit einem Helfer - wird das Pferd an Trab und Galopp gewöhnt. Sitzen diese Lektionen sicher, erfolgt das eigentliche Anreiten. Dazu streichelt oder krault der Reiter das Pferd zunächst, als wolle er es putzen, dann legt er sich mit Unterstützung des Helfers über dessen Rücken. In den meisten Fällen bleibt die Remonte voller Vertrauen ruhig, der Reiter legt sein Bein über die Kruppe und nimmt den Reitsitz ein. Das Auf- und Absitzen wird zur Gewöhnung ein paar Male wiederholt, oder aber das Pferd gleich nach dem ersten Aufsitzen auf die ihm vertraute Zirkellinie geführt. Auch für die weitere Ausbildung empfiehlt sich Geduld. Denn noch ist dem Pferd das Reitergewicht ungewohnt, die Muskeln sind nicht zum Tragen ausgebildet. Deshalb wird das junge Pferd noch nicht jeden Tag geritten, sondern erhält ein abwechslungsreiches Programm zwischen Reiten, Freilaufen, Weidegang, Longieren oder auch Freispringen (was ein Thema für sich ist). Geschieht dies durchdacht, festigen sich Vertrauen und Respekt gegenüber dem "Leittier". Berührungspunkte Leider vergessen aber auch in Deutschland einige Berufs- und Hobbyreiter, daß Pferden ohne Gewalt und Unterwerfung viel schneller etwas beizubringen ist. Als Angestellte in rein wirtschaftlich orientierten Betrieben sind Berufsreiter darauf angewiesen, den Pferden möglichst schnell - zu schnell - möglichst viel - zu viel - beizubringen. Hobbyreiter wiederum meinen sich oft beweisen zu müssen, daß sie genauso gut sind wie ihre Idole: sei es nun auf Turnieren oder in der Freiheitsdressur. Als Folge entstehen Bilder von Pferden, die durch Hilfszügel in Zwangshaltung gebracht werden oder von Reitern, die ihre Tiere durch Sporen und Gerte "ermuntern". Auf der Strecke bleiben Vertrauen und Respekt, am Ende stehen Pferde, die zwar nicht grundsätzlich Arbeit verweigern, bei denen Lust daran oder der Stolz und "Schmelz" junger Jahre verlorengegangen sind. Hier kommt der Kalifornier Monty Roberts wieder ins Spiel. "Wir können die Pferde schlecht in die Schule schicken, um unsere Sprache zu lernen", sagt der. "Wir müssen uns schon bemühen, in ihrer Sprache zu sprechen". Vielleicht wäre dem einen oder anderen (Berufs-)Reiter geholfen, eine ihm unerklärliche Sperre in der Ausbildung seines Pferdes zu beheben, würde er sich mit dieser Sprache beschäftigen. Denn das große Verdienst des Monty Roberts liegt darin, diese "Sprache" auch für Menschen, die nicht sein phänomenales Einfühlungsvermögen besitzen, übersetzt zu haben. Und ihnen ins Bewußtsein zu rufen, daß Mitarbeit auf Ermutigung und nicht auf Zwang beruht. Allerdings hat der 63jährige Kalifornier seiner eigenen Einschätzung nach nur einen Grundwortschatz angelegt. Im Gespräch mit dem ARD-Amerikakorrespondenten Tom Buhrow sah er die Chance - und Notwendigkeit - noch auf Jahre hinaus den von ihm erstellten Wortschatz zu einem für alle verfügbaren Wörterbuch zu verfeinern. Eines aber ist seine Arbeit, und dies sei vor allem denen gesagt, die die klassische Ausbildung verteufeln und in dem Kalifornier den einzig wahren Guru sehen, auch nicht: Der Durchbruch zu einer völlig neuen Reitlehre. Denn mit dem Pferd lernen und vor allem schwitzen muß schon jeder allein. PAT
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