Paßt er oder paßt er nicht - Sättel im Blickpunkt
erschienen am 01.11.1999
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Paßt er oder paßt er nicht - Sättel im Blickpunkt
Kein Mensch würde mit unpassenden Schuhen einen Stadtbummel oder einen Waldspaziergang machen. Wenn es drückt, zwickt und klemmt vergeht dem begeistertsten Fußgänger schnell die Lust am Laufen. Aber unseren Pferden wird Ähnliches oft zugemutet. Es werden Sättel "von der Stange" oder gar aus dem Katalog gekauft, ohne daß das Pferd dabei "ein Wörtchen mitzureden" hätte.
Nur den Springparcours oder Wanderritt soll es dann in bester Manier bestreiten. Der Verkäufer empfiehlt diesen Sattel als besonders bequem (für den Reiter) oder jenen als passend für jeden Haflinger und schon hat er gefälligst auch auf das entsprechende Pferd zu passen. Kann doch gar nicht funktionieren, oder? Sie gehen doch auch ins Schuhgeschäft und probieren verschiedene Schuhe aus, laufen mit ihnen Probe. Und zum Tanz in den Mai nehmen Sie doch auch andere Schuhe als zum Wandern, oder? Nun ist ein Sattel zwar kein Paar Schuhe, aber bei der Anpassung, bei Tragekomfort, Qualität und Verwendungszweck gelten vergleichbare Grundsätze. In der (hoffentlich richtigen) Annahme, daß jeder von uns nur das Beste für sein Pferd will, sind wir gefordert, hier endlich die Augen zu öffnen. Schließlich üben wir unser Hobby/unseren Sport auf dem Rücken eines Lebewesens (!) aus! Fangen wir also an:
1. Richtiges Aufsatteln
Voraussetzung um festzustellen, ob der Sattel paßt, ist seine richtige Lage auf dem Pferderücken. Dazu wird der Sattel ungefähr auf dem Widerrist aufgelegt und dann in Fellrichtung (mit dem Strich) an Ort und Stelle gezogen. Viele Pferde werden zu weit vorne oder hinten gesattelt und das gute Stück rutscht dann während des Reitens. Dabei kann es gar nichts dafür! Dürfte der Sattel nämlich dort liegen, wo er hingehört, würde er auch dort bleiben (jedenfalls, wenn alle anderen Parameter stimmen).
Wo gehört der Sattel hin?
Der Sattel sollte mit seiner Vorderkante hinter der Schulter liegen. (siehe Zeichnung) Nicht auf der Schulter, da er dann die Bewegung der Vorhand einengt. Und nicht etliche Zentimeter hinter der Schulter, denn dann würde der Reiter den Rücken des Pferdes zu weit hinten belasten. Außerdem würde der Sattel von dort immer wieder nach vorne rutschen, denn er findet nur direkt hinter der Schulter festen, dauerhaften Halt. Der Bauchgurt sollte in der sogenannten Gurtlage des Pferdes liegen. Diese beginnt etwa eine knappe Handbreit hinter dem Ellbogenhöcker. (siehe Zeichnung)
Warnende Hinweise beim Aufsatteln
Nun satteln Sie Ihr Pferd. Beobachten Sie es dabei gut. Verdrückt es sich schon in die Ecke, wenn es Sie mit dem Sattel nur kommen sieht? Tritt es von Ihnen weg, wenn Sie aufsatteln? Drückt es gar den Rücken nach unten, wenn Sie den Sattel auflegen? Schnappt es nach Ihnen, schlägt oder schmeißt sich hin? Dann hat es mit Sicherheit ein ernsthaftes Sattelproblem.
2. Genaues Hinsehen
So, jetzt haben Sie den Sattel richtig aufgelegt und können beginnen, seine Paßform zu überprüfen. Wichtig für die eindeutige Sichtweise ist, daß der Sattel ohne Decke /Schabracke auf dem Pferd liegt. Der Gurt sollte leicht angezogen sein. Beginnen wir mit der Länge des Sattels: Sein hinteres Ende (der Efter) sollte etwa eine Handbreit vor dem Hüfthöcker sein. Ist er kürzer, füllt er den Anstieg zur Kruppe nicht aus und führt zu einer zu starken Vorhandbelastung. Außerdem kann er sich dann bei einem schweren Reiter, insbesondere bei Ganzen Paraden, sehr punktuell ins Kreuz des Pferdes drücken. Zwar sollte die Auflagefläche des Sattels so groß wie möglich sein, damit das Reitergewicht möglichst großflächig verteilt wird - zu lang darf sie aber auch nicht sein, weil dann die Nierenpartie des Pferdes zu sehr belastet würde. Jetzt stellen Sie sich mit einem Meter Abstand seitlich vom Pferd auf und versuchen die tiefste Stelle des Sattels zu finden. Nur wenn sich diese Stelle in der Mitte der Strecke zwischen Vorderzwiesel und Efter befindet, liegt der Sattel im Schwerpunkt. Und nur dann kann Ihr Gewicht gleichmäßig auf die ganze Sattelfläche verteilt und schadlos von den Muskeln längs der Wirbelsäule übernommen werden.
3. Abtasten
Die weitere Überprüfung muß mit Reiter vorgenommen werden. Zwar können auch schon beim unbelasteten Sattel Aussagen über die Kammerweite gemacht werden; da die richtige Paßform des Sattels aber zu einem Teil auch vom Gewicht und dem Sitz des Reiters abhängt, müssen Sie sich jetzt auf den - mittlerweile nachgegurteten - Sattel schwingen und einen Mitreiter um Hilfe bitten. Dieser wird als erstes von vorne einen Blick auf den Sattel werfen. Zwischen Widerrist und Sattelkammer sollte mindestens drei Finger Platz sein. Ist weniger Zwischenraum, ist die Kammer vermutlich zu weit; der Sattel liegt zu tief. Im schlimmsten Falle liegt der Sattel regelrecht auf dem Widerrist des Pferdes auf. Das darf nie geschehen! Widerrist und Wirbelsäule müssen immer freibleiben, damit sie in der Bewegung entsprechend arbeiten können. Ist zwischen Widerrist und Kammer mehr Platz als drei Finger, liegt der Sattel zu hoch. Er hat eine zu geringe Kammerweite und quetscht Knochen und Weichteile des Pferdes ein.
Nun tritt Ihr Helfer hinter das Pferd und blickt von hinten nach vorne durch den Sattel. Dies sollte problemlos möglich sein, wenn die Wirbelsäule tatsächlich und wie gewünscht durchgehend frei unter dem Sattel liegt. Nur dann ist eine gute Luftzirkulation und die Schonung der Wirbelsäule gewährleistet. Das Polster des Sattels (das den Sattelbaum umschließt) sollte ca. 2 Finger breit links und rechts von der Wirbelsäule beginnen. Ganz wichtig ist es, daß das ganze (!) Polster gleichmäßig über die ganze Sattellänge am Pferderücken anliegt. Bitten Sie Ihren Helfer, dies von vorne und hinten zu ertasten, während Sie auf dem Pferd sitzen. Liegt nur der äußere Rand des Polsters auf, ist in den meisten Fällen die Kammer zu eng. Ist sie hingegen zu weit, wird Ihr Helfer kaum hineingreifen können, da der Sattel dann zu flach aufliegt. Liegt das Sattelpolster nur teilweise auf, wird das Pferd nur punktuell belastet. Das macht es Ihrem Pferd nicht nur unnötig schwer Sie zu tragen, es kann auch zu Satteldruck führen und letztendlich übertragen sich auch Ihre Gewichtshilfen nicht so präzise wie gewünscht.
4. Hinfühlen beim Reiten
Und jetzt reiten Sie los. Bitte in allen Gangarten und verschiedenen Hufschlagfiguren. Ausgesessen als auch im Entlastungssitz. Ihr Helfer guckt derweil auf Ihren Sattel. Auch der Laie kann feststellen, ob der Sattel in allen Gangarten und Wendungen ruhig auf dem Pferd liegt, ob er nicht "klappert" oder gar hin- und herschwimmt. Bleibt er dort liegen, wo sie aufgesattelt haben oder rutscht er nach vorne oder hinten?
Warnende Hinweise beim Reiten
Beim Reiten können folgende Anzeichen auf einen unpassenden Sattel hinweisen: Ihr Pferd mag nicht stehenbleiben, es kann keinen ruhigen Schritt am langen Zügel gehen, es zackelt. Es wirft die Kruppe auf, stellt den Schweif heraus, zeigt eine starke Unterhalsmuskulatur bei weggedrücktem Rücken. Es neigt zum Bocken, Steigen oder Durchgehen. Natürlich können diese Probleme auch in falscher Reitweise oder anatomischen Faktoren ihre Ursache haben. Sie sollten aber auf jeden Fall ausschließen, daß dies am Sattel liegt. Und wie ist Ihr Gefühl beim Reiten? Fallen Sie nach vorne oder nach hinten, sitzen Sie schief nach links oder rechts? Das kann natürlich an Ihrem Reitstil oder an Ihrem Pferd, aber auch am Sattel liegen. Wenn die Polsterung ungleich ist, die Gurtung einseitig durchgesessen ist oder der Federstahl defekt, werden Sie immer wieder Sitzprobleme haben. Sie meinen, das ist schwer zu beurteilen? Da haben Sie Recht! Sind Sie aber mit Ihrer Sattelüberprüfung bis hierhin gekommen und nicht ganz sicher, ob alles so ist, wie es sein sollte, sollten Sie spätestens jetzt einen Fachmann zu Rate zu ziehen.
Warnende Hinweise nach dem Absatteln
Ersteinmal dürfen Sie jetzt jedoch wieder absteigen und Ihr Pferd absatteln. Nehmen Sie sich etwas Zeit für eine Untersuchung von Rücken und Sattellage nach dem Reiten. Sie können sehr gut selber feststellen, ob sich vielleicht ein Problem anbahnt: der Rücken sollte entweder einheitlich verschwitzt oder einheitlich trocken sein. Wechseln sich längs der Schulter und Wirbelsäule nasse und trockene Flecken ab, dann lag der Sattel nicht gleichmäßig auf. Entdecken Sie besonders warme Stellen, abgebrochene oder gewellte Haare in der Sattellage, so können dies erste Anzeichen für einen späteren Satteldruck sein. Besonders gefährdet sind die Stellen rechts und links vom Widerrist, aber auch an der Wirbelsäule, der Schulter- und Lendenpartie und in der Gurtlage ist Druck möglich. Satteldruck reicht von einer Reizung der obersten Hautschichten bis zur tieferen Gewebequetschung mit dauerhaften Muskelschädigungen. Wo das Gewebe bereits vernarbt ist, wächst weißes Fell nach. Drücken Sie nach dem Reiten die ganze Sattellage Ihres Pferdes mit sanftem, aber deutlichem Druck in Fellrichtung ab. Beobachten Sie Ihr Pferd dabei genau: legt es bei bestimmten Druckstellen die Ohren an, rollt mit den Augen, kneift die Lippen zusammen, wirft den Kopf hoch oder schüttelt ihn, zuckt zusammen? Dann wissen Sie genau, daß Sie eine empfindliche Stelle getroffen haben.
Übrigens: Wenn Sie schon einen Sattel haben, und überprüfen wollen, ob dieser sich negativ verändert hat, schauen Sie sich doch zusätzlich Ihre Schabracke oder Satteldecke einmal genauer an. Sind dort an einigen Stellen vermehrt Schmutz oder Haare zu sehen (davon ausgehend, daß Sie Ihr Pferd vor dem Reiten selbstverständlich gründlich puzten), ist anzunehmen, daß der Sattel dort vermehrt aufliegt: Sie sollten den Sattler rufen.
Fachleute helfen
Dies alles sind "Voruntersuchungen", die Ihnen erste Hinweise geben, ob Ihr Pferd und Ihr Sattel wohl zusammenpassen. Haben Sie Zweifel, zögern Sie nicht, eine/n Fachfrau/mann hinzu zu ziehen. Sattler haben ganz andere Möglichkeiten, als die hier aufgeführten, um die Paßform zu überprüfen. Zusätzlich gibt es moderne Sattelmeßsysteme per Computeranalyse.
Dabei mißt ein spezielles Sensorenpolster die Druckverteilung über die gesamte Auflagefläche des Sattels, sowohl im Stand als auch in der Bewegung. Fachleute können feststellen, ob ein Sattel für ein Pferd gänzlich ungeeignet ist oder ob er sich durch kleine Veränderungen dem Pferd noch anpassen läßt. Sattler haben allerlei Möglichkeiten über die Polsterung auf seine Lage Einfluß zu nehmen, z. B. durch die Einarbeitung eines Keilkissens oder durch das Herausnehmen zu dicker oder schlechter Polsterung. Sie können das Kopfeisen (das die Kammerweite bestimmt) weiten oder die Gurtung nachbearbeiten. Und wenn gar nichts hilft, werden wird Ihnen vielleicht zu einem anderen Sattel geraten. Das ist natürlich "hartes Brot", weil bestimmt nicht billig. Aber: Wenn Ihnen Schuhe nicht passen, werden Sie Sie auch nicht tragen. Und neue kaufen. Greifen Sie in so einem Fall nicht zum Sattel von der Stange; lassen Sie eine Anpassung vor Ort vornehmen. Vertrauen Sie diesen Fachleuten! Ihr Pferd sollte es Ihnen wert sein.
Kaja Stührenberg ( FN Trainerin A Gangpferdereiten)