Go East: Wanderreiten auf Hiiumaa
erschienen am 08.05.2008

Wenn Pferde auswandern könnten, würden sie nach Estland ziehen. Und eine Pferdefamilie gründen. Meinem Pino gefiele es hier: die endlose Weite, die hübschen Stuten und allem voran die perfekte Work-Life-Balance. Pferde sind hier Pendler, die jeden morgen brav zur Arbeit kommen. Aus dem Wald und vom Weideland an den Ufern der Ostsee. Ihre Zugführer sind junge Pferdemädchen, die barfuss und mit kurzen Hosen in den Wald ziehen, die Leitstute einfangen und mit ihr zum Hof reiten. Der Rest der Herde folgt.
Irgendwo inmitten des Trubels läuft meine Taita mit ihrem Fohlen. Seit ich hier bin, heißt sie Sofa. Weil Sie so bequem ist, dass man unterwegs einen tragbaren Fernseher mitnehmen könnte. Wenn man sich nicht ohnehin inmitten eines Naturfilms wiederfände. Taita wird mir für den ersten Ausritt zugeteilt. Eine gute Wahl. Schließlich suche ich keine Herausforderung sondern Erholung. Und die findet man sowohl auf Taita, als auch auf Hiiumaa.
Die zweitgrößte Insel Estlands liegt rund 150 Kilometer westlich der Hauptstadt Tallinn, 22 Kilometer vom Festland entfernt, in der Ostsee. Mit Hiiumaa durch zwei Dämme verbunden ist die Insel Kassari. Sie hat 90 Einwohner und Einwohnerinnen. Eine davon ist Triinu.
Triinu ist die Leiterin des größten Pferdehofes der Insel und reitet ohne Sattel voran. Ich frage sie, ob ich das wohl auch mal dürfte. Nach einigem vielsagenden Zögern antwortet sie: „Dafür muss man aber ganz locker sein.“ „Wir Deutschen sind doch immer locker,“ entgegne ich. Triinu lacht. „Toll,“ denke ich, „die versteht nicht nur Deutsch, sondern auch meinen Humor.“ Wir sind zu zehnt. Vier Pferde, vier Reiter und zwei Fohlen. Ein richtiger Familienausflug.
Durch die umgrenzenden Wälder der Farm geht es hinaus Richtung Hiiumaa. Wir nehmen die Abkürzung durch das Meer, um von Kassari aus zur großen Hauptinsel zu gelangen. Überall sehen wir frei lebende Pferde, Stuten, Wallache und Fohlen, die uns neugierig hinterher sehen. Das Wasser ist flach und von mannshohem Schilf bewachsen. Taita wuchtet sich durch den Dschungel wie ein Eisbrecher durchs Nordpolarmeer. Ihr kleines Stutfohlen tapfer hinterer. Ich sehe nichts als eine Wand von Pflanzen vor mir, als sich das Schilf plötzlich lichtet. Eine junge Frau taucht am Rande des Ufers auf und zupft hastig ihren Bikini zurecht. Mein Pino hätte eine dermaßen unangekündigte Erscheinung mit einem Kurzkehrt quittiert und wäre nach Deutschland zurückgekehrt. Nicht ohne mich vorher im Sumpf abgesetzt zu haben. Nicht so Taina. Über den Models steh ich doch drüber, scheint sie sich zu denken.
Mein Vertrauen in Taina hat sich dank der jungen Schönheitskönigin noch einmal gefestigt. So wird mir auch nicht mulmig, als Triinu ihre rechte Hand als Zeichen zum Angaloppieren hebt. Wir jagen wie die Verrückten durch das kniehohe Wasser. Die Fohlen preschen an ihren Müttern vorbei, wir Reiter quieken vor Vergnügen. Am Ende sind alle pitschnass. Doch bei so viel Lachen und Herzlichkeit wird mir schnell wieder warm.
Auf Hiumaa angekommen, geht es weiter durch einsame Wälder. Hin und wieder tauchen alte Gutshöfe und Kirchen auf. In der Nähe eines alten Schlosses machen wir Rast. Triinu erzählt, dass sie ein Jahr in Deutschland mit jungen Pferden gearbeitet hat. Aber mit 30 wollte sie eine Familie und ein Haus in Estland haben. „Kind und Haus sind genau gleichzeitig fertig geworden,“ fügt sie hinzu. Je feuchter die Heimat, desto trockener die Witze.
Auf dem Rückweg bin ich froh im Sattel zu sitzen und nicht auf dem blanken Pferderücken. Ich habe heute tolle Leute und Landschaften kennen gelernt und Muskeln, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Auf der letzten Galoppstrecke Richtung Heimat begleitet uns ein junger Hengst und wiehert uns von seiner Weide aus entgegen. Sie ist eingezäunt. Auf einer Fläche groß wie ein Nationalpark.
Anreise und Kosten
Übernachtung: 250 Estnische Kronen (17 € ) pro Tag und Person in einem neu erbauten, attraktiven Blockhaus inklusive Hängematte. Die beiden verfügbaren Doppelzimmer liegen im Erdgeschoss des Blockhauses. Die obere Etage wird von der Besitzerin des Hofes bewohnt. Bad und Küche werden gemeinsam genutzt.
Reiten: Eine Stunde = 150 Estnische Kronen (10 €); Tagesritt = 600 Kronen (39 €).
Pferde: Estnisches Warmblut, estnische Sportponys, Araber und Trakehner.
Essen: Je nach Wunsch, können Gäste gemeinsam mit der Familie essen. Im Sommer finden häufig Grillabende statt. Wer sich selbst verpflegen möchte, findet in unmittelbarer Nähe einen Tante Emma Laden. In 5 Kilometer Entfernung gibt es einen großen Supermarkt.
Anreise:
Estonian Air fliegt von Frankfurt, München, Berlin und Hamburg nach Tallinn. Preis ca. 200 Euro hin und zurück, je nach Reisezeit.
Easyjet fliegt ab Berlin Schönefeld bereits ab 11,49 Euro (eine Strecke)
Von Tallinn aus fliegt Avies Air (www.avies.ee) von Montag-Freitag zwei Mal, Samstag und Sonntag einmal nach Kärdla auf Hiiumaa. Kosten: ca. 250 Estnische Kronen (15 Euro). Flugzeit: 30 Minuten. Von dort aus werden die Gäste kostenfrei abgeholt.
Alternativ gibt es eine Busverbindung von Tallinn nach Haapsalu (über 20 Busse täglich) für 80 Estnische Kronen (5 Euro), Fahrtzeit: 1,5 Stunden. Von dort aus geht es mit der Fähre von Rohuküla (7 Kilometer von Haapsalu entfernt) nach Hiiumaa. Die Fähren fahren 4-6 Mal täglich und kosten 45 Kronen (2,80 Euro). Auch vom Fährhafen werden Gäste kostenlos abgeholt.



